Mittwoch, 9. Mai 2012

DON - The German Gay Magazine 1974 (Heft 1 bis 4)


DON 1/74 erscheint im Januar 1974.
Untertitel "Das grosse deutsche Magazin für Männer und ihre Freunde"
Herausgeber unverändert HF-Druck, wie DON 1/1973
Redaktionsleitung und Redaktionsanschrift wie DON 10/1972


In DON 4/1972 - nur 3 Ausgaben nachdem Guy Gilbert = Günter Goebel die Redaktionsleitung übernommen hat - taucht erstmals ein Beitrag von Johannes Werres auf. Seither wird in dem Magazin ganz regelmässig für den nicht nur in Schwulenkreisen umstrittenen Arztes und "Wissenschaftlers" Dr. Willhart Siegmar Schlegel (Werres Freund und Arbeitgeber) und seine Thesen - Reklame gemacht, wenn Schlegel nicht (siehe "Die Bisexualität des Mannes") sogar selber zu Wort kommt.

Nach intensiver Durcharbeit  der letzten 21 Ausgaben stelle ich erstaunt fest: Bei den von Werres und Schlegel behandelten Sachthemen dominiert - in dem Schwulenmagazin (!) DON - das Thema Bisexualität.



Hat DON ein Alibi nötig?

"Einige freundschaftliche Bemerkungen an unsere geschätzten Kollegen von >him< zum Beitrag in ihrer Ausgabe vom Dezember 1973, Seite 30 uf.: >Homosexuelle Publizistik in Deutschland<.

Bei einer sich kritisch gebenden Würdigung deutscher homophiler Zeitschriften aus der Feder eines amerikanischen Journalisten namens Kent A. Zneider (Pseudonym?), aus Los Angeles - angeblich mit dem Chefredakteur einer deutschen Homo-Zeitschrift befreundet - kommt unser DON garnicht besonders gut weg. Dies ganz offenbar, weil wir dem geschätzten Kritiker nicht intellektuell genug erscheinen.

Ganz bescheiden möchten wir unsere Meinung dahingehend Ausdruck geben, dass wir es nun einmal für richtig halten, uns von den anderen beiden Zeitschriften für Homosexuelle zu unterscheiden. Weder wollen wir den sterilen, hoch in den Wolken schwebenden Intellektualismus, der nur von wenigen Philologiestudenten verstanden und goutiert wird, noch liegt uns daran, mit effektvollen, der Sensationspresse abgeschauten journalistischen Stilmitteln nur einen ganz bestimmten Prozentsatz homosexueller Leser für uns zu gewinnen. ....

.... Es ist bekannt, dass sich die >Intellektuellen< immer als etwas Besseres vorkommen. Mögen sie! Das homosexuelle >Fussvolk< lässt sie gewähren. Sie und die zahllosen, meist aus Studenten gebildeten homosexuellen Emanzipationsgruppen und Initiativzellen, Aktionen usw., sie sollen ruhig in Ideologie machen und sich abstrakter Ideen wegen in die Haare geraten... "

Dieser Artikel ist - ausnahmsweise - einmal nicht von Johannes Werres. Der mir wohl vertrauten Diktion und Verbindlichkeit nach hat ihn der Druckereibesitzer und DON-Verleger Henry Ferling [ab der nächsten Ausgabe erscheint er erstmals mit vollem Namen im Impressum!] verfasst. Das FDP-Mitglied Ferling betrachtete das Magazin auch als ernsthaftes Engagement und war auf sein Produkt ziemlich stolz.

In diesen Zeilen erklärt sich auch, warum Johannes Werres in diesen Jahren sein konservatives Gedankengut - inkl. wütender Aversionen gegen alles Linke und die schwulen Emanzipationsgruppen - ungefiltert und uneingeschränkt in DON-Beiträgen abladen durfte (siehe hierzu Werres Beitrag "Utopien, Theorien, Notwendigkeiten" in der folgenden Februar-Ausgabe). 1974 noch teilte Ferling diese Ansichten weitgehend. Allerdings hat er, ganz im Gegensatz zu Werres, in den folgenden Herausgeberjahren seine Einstellung differenziert und den Realitäten angepasst, denn tatsächlich waren es ja die "in Ideologie machenden Emanzipationsgruppen mit ihren abstrakten Ideen", die das Coming Out der Schwulen aus ihrer gesellschaftlichen und politischen Isolation in Deutschland eingeleitet haben.



DON 2/74 erscheint im Februar 1974.
Untertitel "Das grosse deutsche Magazin für Männer und ihre Freunde"
Herausgeber ist jetzt offiziell der Druckereibesitzer Henry Ferling, Darmstadt. Vorher HF-Druck, siehe DON 1/1973
Redaktionsleitung und Redaktionsanschrift wie DON 10/1972


Siehe hierzu den Beitrag "Hat DON ein Alibi nötig?" in der vorangehenden Januar-Ausgabe.

"Utopien, Theorien, Notwendigkeiten" ist - erstmals in DON - in einem verbindlichen, die Diskussion suchenden Werres-Ton gehalten. Ich vermute, der Herausgeber Ferling hat ihn dazu angeregt. Was Werres nicht hindert - kurz vor Artikelschluss - doch noch etwas auszuteilen:

"Damit bin ich bei einem weiteren Punkt: der homophilen Buchproduktion ... Was wir brauchen, sind Sachbücher mit deutlich aktueller Alltagsbezogenheit, Bücher die sich mit Fragen beschäftigen, die den Homosexuellen auf den Nägeln brennen. Bedauerlicherweise kann ein Fassbinder ja keine entsprechenden Filme drehen, die wir dringender brauchen als Filme über Knabenmörder ... Auf Streifen wie den von Praunheim können wir weitgehend verzichten ..."


Es gibt keine Verführung zur Homosexualität!
"Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, § 175 Absatz 1, 1 des StGB sei verfassungskonform, wird aus Kreisen von Betroffenen heftig attackiert. Vor allem wenden sich diese Homosexuellen ... gegen die wissenschaftlich veraltete Thse von der Möglichkeit, einen Jugendlichen während der Pubertät durch sogenannte homosexuelle Verführung lebenslang fixieren zu können. Diese pseudowissenschaftliche These, so der Publizist Johannes Werres, werde nur bei uns in Deutschland verfolgt ..." schreibt der Autor des Beitrags, Johannes Werres, mit Blick auf wissenschaftliche Erkenntnisse und die Einstellung dazu in den USA und den Niederlanden.

Kehrtwende durch junge Jesuiten?
Tatsächlich hat sich diese Frage - hier aufgehängt an einer nachdenklichen Publikation "Sexualmoral ohne Normen", herausgegeben von jungen katholischen Theologen, Jesuiten der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt/Main - nie und nimmer gestellt, denn es waren immer nur Einzelne, die sich - zumeist sehr dezent - ein Nachdenken über die strikte katholische Sexualdoktrin erlaubten. Schon 4 Jahre später - im Jahre 1978 - übernimmt der homophobe Pole, Johannes Paul II., den Vorsitz der Jahrhunderte alten, grössten Schwulen-Diskriminierungs-Organisation. Und sein bayerischer Nachfolger - Papst Benedikt XVI. - hat u.a. die Anti-Schwulen-Agitation auf die Spitze getrieben.


Edwin Hardy Amies (1909 - 2003) war ein britischer Mode-Designer, der Anfang 1946 sein 'couture fashion house business Hary Amies Ltd.' für luxuriöse, hervorragend geschneiderte Damen- und Herrenmode in London eröffnete. Den Ursprungsladen in der Savile Row gibt es heute noch, spezialisiert auf klassische Herrenmode. Seine Homosexualität behandelt er bis in die letzten Jahre seines Lebens sehr diskret.

Die Vorstellung der "Modesilhouette ... von unserem Auslandskorrespondenten Jean-Poule Theodorius aus London" würde ich als ziemlich exotisch bezeichnen: "Das Frühjahr steht vor der Tür ... Die Linie des neuen Anzugtyps ist natürlich. Stoffmaterial und Farben sind vielversprechend ... bestechende Eleganz, egal ob Sie sich für grün, braun oder grau entscheiden ... Achten Sie bei Ihrem nächsten Anzug- oder Hosenkauf auf diese Kriterien ..."


" ... Vier Monate sahen sich Singapurs Journalisten [Zeitung "New Nations"] in der Subkultur der dortigen Homosexuellen um ..." Die Beiträge in "New Nations" wurden übersetzt und bearbeitet von Johannes Werres.

"Ohje Freunde, ihr schlaucht mich ganz schön. Eure Fragen werden von Mal zu Mal komplizierter ... " Das war geflunkert. Solche 'schönen' Leserfragen hat es kaum gegeben, ich habe sie zumeist frei erfunden - wie ich hier schon einmal schrieb.


DON 3/74 erscheint im März 1974.
Untertitel "Das grosse deutsche Magazin für Männer und ihre Freunde"
Verleger ist Henry Ferling, Darmstadt. Entspricht HF-Druck, siehe DON 1/1973
Redaktionsleitung und Redaktionsanschrift wie DON 10/1972


Hier gleich noch ein Text des Druckereibesitzers und DON-Herausgebers Henry Ferling (siehe obiges DON 1/74, Hat DON ein Alibi nötig?)

Dieser Beitrag hat zu Reaktionen geführt, die Ferling veranlassen, den Lesern (wieder einmal) die erheblichen Probleme darzustellen, die Publikationen mit einem kleinen Leserkreis auf dem Zeitschriftenmarkt haben: Von der Muss-Bestückung quasi jeden Kiosks von Flensburg bis Garmisch, von Aachen bis Zwiesel (BRD vor der Wiedervereinigung) mit DON-Exemplaren ... warum 50% mehr gedruckt und verteilt werden, als tatsächlich verkauft werden (Remittenden) ... die Abrechnung durch die Grossisten erst 2-3 Monate nach Auslieferung ... der Mangel an kommerziellen Anzeigen (wichtigste Einnahmequelle aller gösserer und grosser Zeitungen und Zeitschriften, wie Stern und Spiegel) ... bis zu den vielfältigen Herstellungskosten für Papier, Satz, Lithographie, Druck, Redaktion, Bebilderung ...


Suche Freund...
ein Report über Partnersuche von GAY NEWS (= Johannes Werres)

"Was DON hiermit unternimmt, hat bisher noch keine deutsche Homosexuellen-Zeitschrift versucht: alle Möglichkeiten einer kritischen Prüfung zu unterziehen, durch die man heute zu einem Sexualpartner gelangen kann.

Das ist ein ziemliches Stück Arbeit und gar nicht ungefährlich, teilweise zumindest heikel. Nach vier Monaten Vorbereitungszeit sind wir noch nicht sehr viel weiter gekommen ... Einige Unternehmen passen; wir müssen sie erneut anschreiben oder sogar besuchen ..."

Weder gibt der Artikel auf die Frage in der Überschrift irgendeine Antwort, geschweige denn Anhaltspunkte auf "kritische Prüfung". Anstelledessen zählt er Orte auf, wo Schwule sich treffen ("in Parks gehen, bestimmte Bedürfnisanstalten aufsuchen..."), bejammert dass die Leser nicht mitmachen / nichts berichten, Firmen keine Antworten geben, erzählt über einen noch nicht erschienenen German Gay Guide und druckt den Werbebrief eines Euro-Kontaktservice (Büro Fehrle) und weitere 2 Adressen von [fragwürdigen?] Vermittlern ab.


"Die Kirche sollte in Zukunft verantwortungsbewusste und dauerhafte Partnerbindungen akzeptieren und die homosexuellen Christen zu allen Sakramenten zulassen..." wird aus einem Leserbrief an >Publik-Forum<, einer "Zeitschrift füt linksliberale, fortschrittliche deutsche Katholiken" zitiert.

Ein verheirateter Verwaltungsamtsrat (56), gegen den wegen dringenden Tatverdachts, einen 22jährigen Metzger, zu dem er gleichgeschlechtliche Beziehungen unterhielt, niedergestochen zu haben, Haftbefehl erlassen worden war, hat sich mit einem Pflanzenschutzmittel vergiftet.

An Händen und Füssen gefesselt, in zwei Schlafsäcke verpackt, einen Plastikbeutel über dem Kopf, wollte sich ein 29 Jahre alter masochistisch veranlagter Automatenaufsteller auspeitschen lassen, aber nach dem dritten Schlag war er schon erstickt..

Vier Morde an jungen Männern, die "an Orten, wo sich Homosexuelle treffen" stattfanden. "...auch steht bei den Opfern fest, dass sie homosexuell veranlagt waren, bzw. in einschlägigen Kreisen verkehrten".



DON 4/74 erscheint im April 1974.
Untertitel "Das grosse deutsche Magazin für Männer und ihre Freunde"
Verleger ist Henry Ferling, Darmstadt. Entspricht HF-Druck, siehe DON 1/1973
Redaktionsleitung und Redaktionsanschrift wie DON 10/1972


Die DON-Ausgabe enthält alleine 7 Homo-Geschichten.


Klaus Ohnehage (Pseudonym von Johannes Werres?), denn am Schluss werden das Lexikon der Sexualität und andere Werke von Dr. Willhart Siegmar Schlegel empfohlen) thematisiert werden Sex im Park, im Dunkeln, in Bedürfnisanstalten ("Ohne einen gewissen Sexstau ist das nicht zu schaffen"), Onanie ("Zur Onanie treibtes viele nur dann, wenn die Drüsen überlaufen wollen..."), Pornographie und Onanie, Oananie-Apparaturen ("ein Apparat kennt die eigenen Sexzonen nicht"), Gruppensex, Promiskuität... "An all den erwähnten sexuellen Verkehrsarten fehlen wesentliche Elemente des Vorspiels, des sexuellen Vollzuges und der instinktiven Endhandlung."

Der eher an moralische Belehrung erinnernde Text liest sich wie von einem, der "studierte Theologie in Bonn, nach der Teilnahme am 2. Weltkrieg Eintritt ins Priesterseminar, wurde 1947 wegen Homosexualität noch vor der Priesterweihe ausgeschlossen". Vgl. Biographie in meinem Blog-Eintrag Johannes Werres

.


Loriot hätte zu dieser Überschrift sein berühmtes "Ach was!" gesagt.

Gemäss dem Thema, seiner Ausführung und der Diktion (und der Plattitüden) tippe ich auf Johannes Werres als Autor:

"Auch von jungen Leuten kann das Altwerden nicht geleugnet werden ... Die Aussicht, noch fünfzig oder sechzig Jahre Jahre vor sich zu haben, ist verführerisch ... Männerfreundschaften sind leichter geschlossen, als Ehen und noch viel leichter gelöst ... Dem instinkgetrübten Zivilisationsmenschen bleibt es vorbehalten, alleine nach der Lust des befriedigenden Triebes zu streben und sein Leben zu verlüsteln ... Da ist das alte Mütterchen, abgerackert und einsam in seinem möblierten Zimmer: noch stolz darauf, dass es ein leben lang nichts weiter kannte als Sorge für Mann und Kinder. Es lebte nur seinen Bemutterungstrieben und versündigte sich an seine Menschtum ... Man sagt, dass das Alter für den Homophilen penibler sei als für den Heterosexuellen ..."

Wie schon früher einmal gesagt, hielt ich den Verleger und Druckereibesitzer Henry Ferling für einen klugen, intelligenten Mann. Dass er Werres Texte - am laufenden Band - unbesehen druckte, ist mir im Nachhinein ein Rätsel.